Endlich einmal schlafen! Dafür stand für uns am Ende die Abkürzung G.S.E. (Get Sleep
Eventually) - besonders während der letzten Tage des Programms.
Eines der Anliegen dieses Austauschprogramms ist es, gegenseitiges Verständnis und die
Wertschätzung verschiedener Kulturen zu fördern. Im weiteren Sinne trägt es zum
friedlichen Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund,
verschiedener Herkunft und Religion bei.
Mir als Person hat das Programm die Augen geöffnet - nicht nur, weil ich dadurch die
Möglichkeit bekam, die andere Seite der Welt kennen zu lernen und in gewisser Weise
einmal Urlaub zu machen.
Vor allem anderen war es eine einzigartige Erfahrung für mich, auszuprobieren, wie ich
mit fremden Menschen in einer neuen Umgebung weit weg von meinem Zuhause zurechtkommen
würde.
In Minnesota, von Minneapolis bis zu den weiten Agrarlandschaften Gaylords, fühlte ich
mich zu Hause, obwohl mein Zuhause tausende Meilen entfernt war. Es wäre ein
aussichtloses Unterfangen, all die Erfahrungen in Worte zu packen, die ich während
dieses ganzen Monats gesammelt habe.
Da sich unsere Gruppe aus Mitgliedern unterschiedlicher Fachbereiche zusammensetzte,
besuchten wir vom zweiten Tag an sämtliche Arten von Meetings. Wir erhielten Führungen
durch die Universität von Minnesota und die Stafford-Bibliothek in Woodbury. Wir
besuchten eine Charter-School in der Innenstadt und die Hauptstadt, wo wir im Haus des
Senats eine Sitzung der Abgeordneten miterleben konnten. Wir trafen einen Richter des
obersten Gerichtshofes, überquerten den Mississippi an seinem Ursprung, im Hafen von
Itasca, zu Fuß, konnten die erst vor kurzem entdeckten "Schriftrollen vom Toten Meer"
im naturwissenschaftlichen Museum bewundern und besuchten St. Michael, eine Schule in
Monticello und die Sauk Centre High School - um nur einige Beispiele zu nennen!
Im Rahmen meines Fachbereiches stellen die beiden zuletzt genannten Schulen für mich
die Höhepunkte des Programms dar. Ich hatte zahlreiche Gelegenheiten, mich mit den
Schuldirektoren, den Lehrern und sonstigem Personal auszutauschen. Verschiedene
Aspekte waren für mich während meines Besuches besonders auffällig. Es war
offensichtlich, dass den Lehrern ein großes Maß an Verantwortung übertragen wurde -
wobei gleichzeitig der Nutzen sehr hoch war. Diese Verantwortung stellt einen
entscheidenden Beitrag zur Steigerung der Moral bei den Lehrern dar - was sich
wiederum in besseren akademischen Leistungen widerspiegelt.
Ebenfalls bemerkenswert war die technische Ausstattung, die aus der zur Verfügung
stehenden Anzahl von Computern ersichtlich wurde.
Im Unterricht ist außerdem die neue Technologie der Smart Boards (interaktive White
Boards) eine beachtliche Erleichterung. Ich nahm an einigen Unterrichtsstunden teil
und mein genereller Eindruck war, dass die Wissensvermittlung mehr auf die Lernenden
ausgerichtet ist. Die Möglichkeit, zahlreiche praktische Erfahrungen zu sammeln, hat
einen hohen Stellenwert neben der mitunter eintönigen, bloßen Vermittlung
theoretischen Wissens.
Die Schulen legen nicht nur Wert auf ausgezeichnete akademische Leistungen sondern
auch auf außer-schulische Aktivitäten.
Jede Erfahrung hat jedoch auch ihre Schattenseiten. Eine solche war für mich die
Teilnahme an einer Spendenaktion für ein Heim in Nairobi, in dem behinderte Kinder
untergebracht werden sollen. Stereotypisch argumentierend, präsentierten die
Organisatoren ein trauriges, mit verzerrten Fakten untermauertes Bild der Situation.
Es als statistischen Fakt anzuführen, dass 75% der Studenten der Universität von
Nairobi der Meinung seien, eine Behinderung sei eine Art Fluch, ist nicht nur
arrogant, sondern spricht den Studenten auch ein gewisses Maß an Intelligenz ab.
Ich würde diesem Bericht nicht gerecht werden, wenn ich den Stamm der Midewakanton
nicht erwähnen würde (ein Shokupee Indianer Stamm). Es war erstaunlich zu sehen, in
welchem Ausmaß ein Hobby unser Leben beeinflussen kann. Der Vize-Häuptling dieses
Stammes Glynn A Crooks war unglaublich. Sein Hobby ist es, Dinge zu kopieren. In
seinem Haus hat er eine exakte Nachbildung des ovalen Regierungsbüros im Weißen Haus.
Zumindest behauptet er das. Wenn man genau hinschaut, hat man aber keinen Grund an seinen
Aussagen zu zweifeln, denn er ist ein enorm reicher Mann. Positiv hervorzuheben ist
auch die Tatsache, dass er Millionen von Dollar investiert, um die Bedürftigen seines
Stammes zu unterstützen.
Zusammenfassend würde ich sagen, dass die Behauptung, die USA seien das Land der
unbegrenzten Möglichkeiten, tatsächlich wahr ist. Hier konnte ich mit eigenen Augen
sehen, dass es sich bezahlt macht, hart zu arbeiten. Wir konnten uns an nahezu allen
Orten, die wir besucht haben, selbst davon überzeugen.
Bei 3M beispielsweise, einem der größten Arbeitgeber Minnesotas, trafen wir eine
30 Jahre junge Frau aus Somalia. Sie kam als Flüchtling in die USA und ist heute eine
der leitenden Ingenieurinnen des Unternehmens.
Wir lernten außerdem einen Mann aus Ghana kennen, der aufgrund des Bürgerkrieges aus
seiner Heimat geflohen war. Heute ist er ein erfolgreicher Ingenieur für Elektrotechnik.
Beeindruckend war für mich auch eine der Charter Schulen, an der 98% der Schüler
Somalis sind.
Insgesamt war mein Aufenthalt eine wertvolle Erfahrung die mir gezeigt hat, dass wir
manchmal nicht nur für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun,
verantwortlich sind (Molière möge mir verzeihen).
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