Die Corona-Krise ist 2020 allgegenwärtig und in allen Ländern der Welt gibt es ähnliche Zustände und Entwicklungen. Auch an unserer Schule kam es zu großen Einschränkungen. Unsere Schülerinnen, Lehrer/-innen und Arbeiter/-innen bekamen die Auswirkungen der Pandemie schwer zu spüren. Wie sieht es jedoch mit den offiziellen Zahlen und der Ausbreitung des Corona-Virus in Kenia aus?

Hierzu gibt es in der internationalen Berichterstattung wenig Informationen. Professor Christian Drosten widmete eine Folge seines erfolgreichen NDR Corona-Podcasts der Lage in Afrika und erläuterte auch eine wissenschaftliche Studie aus Kenia. Er erklärte zudem, warum Über- oder Fehlinterpretationen der präsentierten Zahlen ein Problem werden könnten. Die wichtigsten Punkte sind in diesem Artikel zusammengefasst.

Expert/-innen hatten zu Beginn der Pandemie befürchtet, dass es in ökonomisch schwachen Ländern, mit schlechtem Gesundheitssystem und mangelnder Infrastruktur, zu katastrophalen Folgen durch das Virus kommen könnte. Diese Befürchtung galt auch einigen afrikanischen Ländern, wie etwa Kenia. Aktuellere offizielle Zahlen vom afrikanischen Kontinent zeigten jedoch eine Überraschung: Die Zahl der Infizierten, die gestorben sind oder einen schweren Verlauf der Krankheit hatten, ist relativ gering, auch im Vergleich mit europäischen Ländern.

In Kenia wurden bis zum 10. August diesen Jahres 320.000 PCR-Tests durchgeführt. Das ist viel weniger als zum Beispiel in Deutschland, aber verglichen mit anderen afrikanischen Ländern südlich der Sahara ist es sehr viel. Etwa 7,5% der Tests waren positiv. Dies ist eine sehr hohe Zahl, was jedoch auch dadurch erklärt werden kann, dass in Kenia vor allem dort getestet wurde, wo auch hohes Infektionsgeschehen war. Das bedeutet, dass man hauptsächlich an Orten getestet hat, an denen man ohnehin erwartet hatte, viele Infizierten finden zu können. Gleichzeitig sind laut offiziell gemeldeter Zahl in Kenia weniger als 400 Infizierte mit dem Virus gestorben.

Ein vorveröffentlichter Artikel mehrerer Forscher beschreibt eine wissenschaftliche Studie aus Kenia. In der Studie wurden 3000 Blutspendern mit einem Antikörper-Test untersucht, um festzustellen, ob sie bereits mit Covid-19 infiziert worden waren und Antikörper gegen das Virus gebildet haben. Auf Grundlage dieser Zahlen wurden Rechnungen durchgeführt, um zu modellieren, welcher Anteil der Gesamtbevölkerung Antikörper gegen das Virus gebildet hat. Die Forscher schätzen, dass dies in Nairobi und Mombasa bereits ca. 30-40% der Bevölkerung sind.

Aktuell steigen die Infektionszahlen in Nairobi nicht mehr stark an und die Forscher argumentieren, dass eventuell schon von einer Herdenimmunität ausgegangen werden kann. Meistens wird davon gesprochen, dass Herdenimmunität vorliegt, wenn etwa 60-70% der Bevölkerung immun sind. Da Personen in der Stadt jedoch eher in ihren eigenen Familien und Freundesgruppen bleiben und das Virus daher kaum zwischen Gruppen übertragen wird, könnte es ausreichen, wenn ca. 40% immun sind.

Man kann also sagen: Die erwartete Katastrophe ist ausgeblieben. Dies sind natürlich extrem gute Nachrichten. Jedoch gibt es einige Punkte, die hierbei beachtet werden müssen. Offizielle Meldedaten und wissenschaftliche Untersuchungen sind natürlich eine sehr wichtige Wissensbasis für uns. Allerdings müssen sie immer kritisch betrachten und überdacht werden. Vereinfachte Darstellungen in den Medien, wie etwa die, dass afrikanische Länder glimpflich davongekommen seien, können einen falschen Eindruck erwecken. Dies könnte auch zum Beispiel politische Entscheidungen fehllenken. Aktuell wird etwa diskutiert, dass finanzielle Hilfen und (hoffentlich bald verfügbare) Impfstoffe solidarisch auch an Länder gegeben werden sollen, die selbst nicht genügend Mittel zur Verfügung haben, um die Krise zu überstehen. Solche Hilfen etwa unter der Annahme zu verweigern, dass afrikanische Länder dies gar nicht nötig hätten, wäre ein großer Fehler. Daher soll die beschriebene Studie noch einmal genauer betrachtet werden.

Ein Punkt ist, dass für die Studie ein Antikörper-Test verwendet wurde, der bisher nur in Europa verwendet worden war. In Kenia gibt es ganz andere Infektionen und Krankheiten als in Europa. Wir wissen daher nicht, wie ein Test zum Beispiel reagiert, wenn eine Person nicht Covid-19, aber dafür eine andere Infektionskrankheit hat, die bei der Entwicklung des Tests nicht berücksichtigt wurde. Es könnte dazu führen, dass es bei einem Test zu einem positiven Ergebnis kommt, obwohl die Person gar nicht mit dem Corona-Virus infiziert ist. Der Test wird trotzdem noch in den meisten Fällen das richtige Ergebnis anzeigen. Die Häufigkeit von falsch positiven Ergebnissen könnte jedoch viel höher sein als bei Verwendung des gleichen Tests in Europa. Der Test müsste zunächst für die afrikanische Bevölkerung neu validiert werden. Es könnte daher sein, dass in Wirklichkeit weniger Personen in Kenia gegen das Virus immun sind, als von den Forschern geschätzt wurde.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Testungen in Kenia vor allem in Großstädten wie Mombasa und Nairobi durchgeführt wurden. In Kenia gibt es in den Städten vor allem junge Leute, die natürlich ein geringeres Risiko haben, durch Corona einen schweren Krankheitsverlauf zu haben. Über die Situation in ländlichen Gegenden, wo zum Beispiel auch viele unsere Schülerinnen wohnen, weiß man sehr wenig. Auf dem Land gibt es eine viel geringere Bevölkerungsdichte, aber auch einen schlechteren Zugang zu medizinischer Versorgung und viele ältere Menschen. Es kann also schwierig sein, die Ergebnisse der Studie auf die Landbevölkerung zu übertragen. Es könnte zum Beispiel sein, dass in ländlichen Gegenden prozentual mehr ältere Personen an dem Virus erkrankt sind und einen schweren Verlauf hatten, als dies in den Großstädten der Fall war. Außerdem gibt es in Kenia sehr arme Gegenden, in denen die medizinische Versorgung und die Infrastruktur nicht gut sind. Personen, die dort eventuell infiziert wurden, sind vielleicht nie zu einem Arzt gegangen und wurden nicht getestet. Sie würden also in den offiziellen Zahlen gar nicht auftauchen.

Insgesamt kann man sagen, dass das Corona-Virus in Kenia, wie auch in allen anderen Ländern, schlimme Auswirkungen hatte und das Leben aller komplett verändert hat. Offizielle Daten und eine wissenschaftliche Studie deuten an, dass es in Mombasa und Nairobi trotz einer hohen Anzahl an Infizierten, glücklicherweise nur zu verhältnismäßig wenigen Todesfällen durch das Corona-Virus gekommen ist. Allerdings ist dies kein Grund dazu, anzunehmen, dass man diese Beobachtungen auf das ganze Land oder gar auf ganz Afrika übertragen kann. In Zukunft sollten auf jeden Fall mehr solcher wissenschaftlichen Studien auf dem afrikanischen Kontinent durchgeführt werden, um mehr über die Situation dort zu lernen. Es ist auch wichtig, sich zwischen den Ländern auszutauschen und voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu unterstützen. Internationaler Zusammenhalt und Solidarität während dieser Pandemie sind extrem wichtig und nur gemeinsam können wir sicherstellen, dass alle diese schwierige Zeit überstehen.

Hier ist der Link zu der Podcast-Folge:
https://www.ndr.de/nachrichten/info/56-Coronavirus-Update-Das-Afrika-Raetsel,podcastcoronavirus242.html

Hier ist der Link zu der wissenschaftlichen Studie:
Revealing the extent of the COVID-19 pandemic in Kenya based on serological and PCR-test data:
https://www.medrxiv.org/content/10.1101/ 2020.09.02.20186817v1.full.pdf